Im Zwielicht

Auf vielfachen Wunsch einer einzelnen Person kommt hier nun eine Kurzgeschichte von mir. Erstmal veröffentlicht habe ich sie 2010 im Rahmen eines Schreibwettbewerbs. Für den Blog habe ich ein paar Feinheiten optimiert, inhaltlich ist sie unverändert. Feedback ist erwünscht. Vielleicht wird dann eine neue Rubrik namens Schreibfunken draus.

Im Zwielicht

Der herumwirbelnde Staub auf der Lichtung funkelte wie Diamanten. Langsam wich die Schwärze der Nacht den ersten Sonnenstrahlen, die sich durch das Unterholz Bahn brachen. Der Mond verblasste allmählich und auch die Sterne verloren an Strahlkraft. Der Junge aber hatte keinen Blick für die vergehende Nacht, sondern starrte angestrengt auf die Lichtung, ohne sich von den glitzernden Staubpartikeln ablenken zu lassen. Der Wind frischte auf, wirbelte ein paar Blätter empor und nun schimmerte die ganze Lichtung. „Mir ist kalt“, jammerte das Mädchen neben ihm. Sie waren aufgebrochen, als die Nacht noch tintenschwarz gewesen war und im Wald hatten sie trotz der leuchtenden Sterne und des hellen Mondes kaum die Hand vor Augen gesehen. Es war ein langer Marsch zur Lichtung und die Wegmarken waren im Dunklen schwer zu finden gewesen, auch wenn er den Weg schon oft gegangen war. Erst kurz vor Beginn der Dämmerung waren sie angekommen und hatten sich hinter einem vermodernden Stamm im Gebüsch am nahen Ufer versteckt. Der Wind stand günstig und blies sanfte Wellen über das Wasser zu ihnen hinüber.

„Mir ist wirklich kalt“, greinte sie kurze Zeit später. Seufzend zog er seine wärmende Weste aus und gab sie ihr, denn er wusste, sie würde sonst nicht aufhören sich zu beklagen. Sie war halt ein Mädchen. Er hätte sie daheim lassen sollen, trotz ihrer Bitten. Aber seine Schwester hatte nicht aufgehört zu betteln und es war sein Fehler gewesen, überhaupt zu erzählen, wo er in den Morgenstunden hin ging. Er wusste doch, dass sie dann keine Ruhe geben würde. Sie schlüpfte in sein Lammfell und er konzentrierte sich wieder auf die Lichtung gegenüber. Hatte sich da drüben nicht etwas bewegt? Er kniff die Augen zusammen, aber es war wohl nur eine Täuschung gewesen. Bedächtig stieg die Sonne höher und der Osten des Waldes wurde gemächlich mit Licht geflutet. Der Mond war nur noch eine fahle Sichel und die fernen Sterne kaum noch sichtbar. Langsam taten ihm seine Knie von der unbequemen Haltung weh. Würde heute womöglich wieder einer der Tage sein, wo sie nicht kamen?

Nach einer gefühlten Ewigkeit erkundigte sich seine Schwester: „Müsste sie nicht bald kommen?“ Da! Er hatte etwas knacken gehört, noch in weiter Entfernung. Mit einer Handbewegung befahl er ihr zu schweigen. Widerspruchlos gehorchte sie und blickte genauso wie er nun angestrengt nach Westen. War da nicht etwas Weißes gewesen? Langsam wurden die Geräusche lauter und kamen näher. Zwischendurch blitzten immer mal wieder weiße Flecken zwischen den Bäumen auf, in immer kürzeren Abständen. Nun vernahmen sie auch das leise Stampfen von Hufen, gedämpft durch den weichen Waldboden. Seine Schwester rückte näher an ihn heran. Nun waren die weißen Schemen ganz nah. Ein weißes Einhorn trat aus dem Wald auf die Lichtung, sah sich um und witterte. Gespannt hielten sie beide den Atem an. Herrlich war es anzusehen mit seinem elfenbeinfarbenen Fell, dem eleganten Körperbau und dem steil aufragenden Horn. Offenbar hielt es die Gegend für sicher und wieherte leise. Langsam trat aus dem Schatten des Waldes sein Fohlen heraus und stakste zum Fluss hinüber, wo es zu trinken begann. Seine Mutter trat neben es, senkte den majestätischen Hals und begann ebenfalls sich zu tränken. „Sie sind so wunderschön“, wisperte seine Schwester und er nickte nur.

Bald würde die Sonne aufgehen, der Himmel war schon ganz hell, als die beiden Einhörner aufhörten zu trinken. Die Stute schnaubte leise, als würde sie dem jungen Hengst etwas mitteilen wollen, dann begab sie sich ins Wasser und begann zu schwimmen. Direkt auf sie zu. Er erstarrte. Konnte sie wissen, warum er eigentlich gekommen war? Eigentlich machte er sich keine Hoffnungen, dass das Einhorn ihnen helfen konnte, aber einen Versuch war es wert. Der alte Seppl aus dem Dorf hatte Stein und Bein darauf geschworen, dass das Einhorn helfen konnte. Wenn man sich seiner würdig erwies. Andererseits war der alte Seppl ein Säufer. Aber die anderen hatten ja auch nicht geglaubt, dass es Einhörner gab und das hier war gewiss eins. Das Einhorn hatte inzwischen das andere Ufer erreicht und entstieg anmutig dem Wasser. Dann schüttelte es kurz die Wassertropfen aus seinem Fell, bevor es leichtfüßig auf ihn zuging. Kurz vor ihm blieb es stehen und schaute ihn mit seinen weisen Augen an. Anschließend schwenkte sein Blick zum Bündel, welches neben ihm lag. Ihm stockte kurz der Atem. Das Einhorn schien zu wissen, was sich in ihm befand. Zögernd, ohne das Einhorn aus den Augen zu lassen, öffnete er das Bündel. Aus dem Augenwickel sah er, wie seine Schwester unruhig wurde. Sie hatte nicht gefragt, was in dem Bündel war, schien aber nun etwas zu ahnen.

Er entfernte vorsichtig die äußeren Lagen, dann hob er sanft das kleine Kind im Bündel hoch. Es war ein kleines Mädchen, wenige Monate alt, nicht ganz ein Jahr. Gestern hatte es am Morgen tot im Bett gelegen. Keiner wusste, weshalb. Seine Mutter hatte schrecklich geweint, der Vater nur geschwiegen. Sie hatten nichts gesagt, als er sie an sich genommen hatte. Er hatte ein Grab gegraben und es zugeschüttet, aber die Kleine nicht hineingelegt. Niemanden hatte er etwas von seinem Plan erzählt, denn wer von den Erwachsenen würde schon glauben, wenn er ihnen von Einhörnern erzählte. Er glaubte selbst noch lange nicht, dass sie Tote zum Leben erwecken konnten. Aber er wollte es wenigstens versuchen. Vorsichtig hob er seine kleine Schwester empor und streckte sie bittend dem Einhorn entgegen. Was würde nun passieren? Er wusste es nicht. Das Einhorn schaute das kleine Menschenbündel an, dann näherte es sich sanft mit seinen Nüstern und schnupperte. „Bitte, hilf ihr“, wagte er leise zu flüstern. Das Einhorn hob den Kopf wieder und schien ihm direkt in die Augen zu sehen. Dann legte es den Kopf schräg. Das Einhorn beweinte seine Schwester! Langsam tropften die Tränen auf das kleine Lebewesen und perlten über das zarte Gesicht. Dieser Anblick hatte etwas magisches, er wagte kaum noch Luft zu holen und versuchte die Arme ganz still zu halten.

Das zierliche Gesicht seiner kleinen Schwester war ganz nass, als das Einhorn den majestätischen Kopf hob, leise schnaubte und durch das Wasser hindurch zurück zu seinem Fohlen schwamm. Es wieherte noch einmal, dann verschwanden die beiden wieder in den Wald, leuchtend umrahmt von den Sonnenstrahlen der in diesem Moment aufgehenden Sonne. Kurze Zeit hörten sie noch die sich entfernenden Einhörner, dann herrschte Totenstille. Er senkte die Arme und schaute in das Gesicht des Babys. War trotz der Magie des Augenblicks vorhin alles vergeblich gewesen? Die Stille lastete auf ihm und seiner Schwester, die wie er in das Gesicht der Kleinen spähte, auf der Suche nach einem Lebenszeichen. Schlagartig wie auf ein Signal hin begannen die Vögel zu singen. In diesem Moment schlug das kleine Mädchen die Augen auf und lächelte ihn an. Die Tränen des Einhorns funkelten in seinem Gesicht wie kleine Diamanten.

8 Kommentare

  1. Hallo Elena,

    vielen Dank für das Teilen von ‚Im Zwielicht‘! Die Geschichte ist schön knapp, aber nicht zu kurz gehalten. Am Anfang sind die Sätze gefühlt noch etwas abgehakt, was sich allerdings im Verlauf der Geschichte bessert. Den Dialog mit der Schwester hätte es nicht gebraucht, vielleicht hätte das die Wirkung der Bitte gen Ende etwas verstärkt? Ich fand ansonsten noch die Klammer mit den Diamanten im ersten und Satz sehr gelungen, und würde gerne noch mehr solcher Schreibfunken lesen.

    Liebe Grüße
    Janine

    • Hallo Janine,

      vielen Dank für das Feedback <3 Stimmt, den Dialog hätte ich auch weglassen können.

      Liebe Grüße
      Elena

      • Liebe Elena,
        ich kann mich da nur anschließen. Zum Ende hin ist es richtig bewegend, ich glaube, da „stört“ der Dialog am Beginn nur.
        Ansonsten wirklich schön geschrieben! 🙂 Ich wusste bisher gar nicht, dass du auch Geschichten schreibst.
        Sonst wirkst du immer so „ernst“. Aber ich war auch von deinem Humor ein wenig überrascht (aber nur positiv) beim Spieleabend letzt 😉

        Liebe Grüße
        Jennifer

        • Liebe Jennifer,

          ich habe bisher selten etwas Prosa geschrieben und noch weniger veröffentlicht. Die letzten Jahre überhaupt nicht. Daher ist es kein Wunder, dass du davon nichts wusstest.

          Ansonsten bin ich eigentlich ziemlich humorvoll, halte mich aber vor allem im Internet lieber etwas zurück und bin vorsichtig. Ist nämlich grad online so eine Sache, ob etwas „richtig“ rüberkommt.

          Liebe Grüße
          Elena

  2. Sehr schöne Geschichte mit wunderbarer Atmosphäre. Ich glaube, mir wäre es lieber gewesen, wenn die beiden Figuren Namen gehabt hätten, aber es funktioniert natürlich auch ohne. Und ich frage mich, welche Folgen diese Nacht wohl für das wiederbelebte Kind haben wird …

    • Liebe Kostanze,

      vielen Dank für deine Rückmeldung 🙂 Ohne Namen fand ich es persönlich zeit- und ortloser.

      Eine interessante Frage. Vielleicht schreibe ich mit passender Idee mal ein Sequel.

      Liebe Grüße
      Elena

  3. Also hier Rückmeldung 😘

    Eine sehr schöne Geschichte. Die Schwester wäre weglassbar, dann wirkt es am Ende mit dem Baby (das ja auch eine Schwester ist) nicht verwirrend.
    Du hättest mit einfachen Mitteln etwas mehr Spannung und Atmosphäre reinbringen können. Aber die Einhörner sind toll, auch ihre Aufgabe innerhalb seines Plots. Gefällt mir gut.
    Hast du schon Mal überlegt, zum Nornennetz zu kommen? Ich glaube, das würde gut passen.

    LG Eva

    • Vielen Dank für die Rückmeldung. Es macht sich bemerkbar, dass du da wesentlich professioneller unterwegs bist.

      Ich habe erst letztens überlegt, aber dann gedacht, ich schreib zu wenig. Aber wenn du mich so fragst … außerdem habe ich ja jetzt ein Projekt gestartet, da würde es passen.

      LG Elena

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